achtsam sich wohlfühlen

Sei achtsam, du wirst dein Leben mehr genießen – ist das der buddhistische Weg?

Ihr habt vermutlich schon Seiten gesehen, auf denen so etwas steht wie:

Lebe achtsam, du wirst viel intensiver erleben. Komme ganz in die Gegenwart und genieße den Augenblick. Alles wird mit Achtsamkeit noch schöner.

Manchmal habe ich den Eindruck, Achtsamkeit wird zu einer Art Lifestyle-Accessoire, das unsere Lebensqualität steigern soll.

Ist das die Achtsamkeit, von der der Buddha sprach? Ist das der buddhistische Weg?

Oder ist das, was der Buddha lehrte, etwas anderes? Auf den ersten Blick ist kein Unterschied zu erkennen. Achtsamkeit heißt, aufmerksam das zu erleben, was gerade im Augenblick passiert.

 

Der Unterschied liegt im Ziel

Worum geht es, wenn Achtsamkeit dazu dient, mehr zu genießen und intensiver zu leben?

Das Ziel íst, sich zu freuen, sich wohlzufühlen, weniger gestresst zu sein. Es soll uns gut gehen.

 

Warum geht es uns durch Achtsamkeit besser?

Es ist wissenschaftlich nachgewiesen, dass durch regelmäßige Achtsamkeitsübungen das Stresshormon Cortison im Körper sinkt. Cortison ist unser Alarmhormon. Wenn etwas bedrohlich erscheint, wird dieses Hormon ausgeschüttet und versetzt den Organismus in Aktionsbereitschaft. Mit Cortison im Blut sind wir wacher, können blitzartig reagieren, schneller laufen und die letzten Kräfte aktivieren. Wir können vor dem sprichwörtlichen Säbelzahntiger davonlaufen oder ihn erlegen. Und mit dieser körperlichen Aktivität wird das Cortisol wieder abgebaut und der Körper kehrt in seinen Ruhezustand zurück.

Heutzutage versetzt uns allerdings nicht ein Säbelzahntiger in diesen Zustand. Vor dem, was heute unser Cortison freisetzt, können wir meistens nicht weglaufen. Der Chef, der Verkehr, die Hektik, der Druck, der Lärm… wie soll man sich dem entziehen?

 

Wellness-Achtsamkeit

Wenn wir nicht weglaufen und uns auch nicht körperlich wehren können, bleibt das Stresshormon Cortisol in unserem Körper und versetzt uns in einen dauernden Alarmzustand. Das beeinträchtigt sogar unsere normalen Gehirnfunktionen wie das Gedächtnis, erhöht den Blutdruck und kann zu weiteren Krankheiten führen.

Achtsamkeit hilft dabei, das Cortisol abzubauen. Wir konzentrieren uns auf das, was gerade ist, nehmen alle unterschiedlichen Ebenen wahr (Link Rettungsanker). Wir nehmen innerlich Abstand, unser Organismus realisiert, dass gar keine Gefahr vorhanden ist. Dadurch sinkt das Stresshormon und der Körper kehrt in seinen Ruhezustand zurück.

Das Gleiche passiert, wenn wir einen strammen Marsch um den Block machen und eine kleine Runde joggen.

Meiner Meinung nach ist nichts dagegen einzuwenden, diesen kleinen Ausschnitt der buddhistischen Lehre (und auch verschiedener mystischer Traditionen) zum Stressabbau zu verwenden. Ich nutze es auch.

Und es stimmt, wenn wir aufmerksam in der Gegenwart sind, erleben wir alles viel intensiver. Warum? Einfach weil unser dicker Gedankennebel sich lichtet und wir mehr von dem wahrnehmen, was gerade ist.

Ich nenne die Achtsamkeit mit dem Ziel, glücklich zu sein, Wellness-Achtsamkeit.

 

 

Ist es falsch, sich durch Achtsamkeit ein schönes Leben zu machen?

Vielleicht hört es sich so an, als ob es falsch wäre, Achtsamkeit zu nutzen, um ein schöneres Leben zu haben. Nein, es ist nicht falsch.

Im Gegenteil:  Es gibt einen langen Vortrag des Buddha, in der er genau schildert, was förderlich ist und was nicht, wenn man dem buddhistischen Weg im Alltag folgen will.

„Ein Sinnenwünsche Befriedigender, der nach Befriedigung auf rechte Weise und ohne Gewalt sucht, mit den auf rechte Weise und ohne Gewalt erlangten Befriedigungsmöglichkeiten es sich selbst angenehm und befriedigend macht, teilt und damit Gutes tut, aber mit diesen Möglichkeiten verstrickt umgeht, besessen, ihnen verfallen ist, das Elend nicht sieht, nicht den klaren Blick für das Entrinnen hat, ist

wegen drei Umstände zu loben, wegen eines Umstandes zu tadeln.

Wegen welcher dreier Umstände ist er zu loben? – Weil er nach Befriedigung auf rechte Weise und ohne Gewalt sucht; – weil er es sich selbst angenehm und befriedigend macht; – weil er teilt und damit Gutes tut.

Wegen welchen einen Umstandes ist er zu tadeln? – Weil er mit diesen sinnlichen Befriedigungsmöglichkeiten verstrickt umgeht, besessen, ihnen verfallen, das Elend nicht sieht, nicht den klaren Blick für das Entrinnen hat.“

(S.42,12 Rasiyo-Sutta)

Das Entscheidende ist also, ob man die Erfüllung seiner Wünsche für das höchste Glück hält. Dann ist man ihnen verfallen und das Unglück ist vorprogrammiert. Warum?

 

Von der Wellness-Achtsamkeit zur Rechten Achtsamkeit

Hast du Wellness-Achtsamkeit schon einmal probiert? Wie war es? Hast du dich besser gefühlt? Und wie ging es weiter? Ist das Wohlbefinden geblieben? Ja? Nein?

Natürlich nicht, denkst du? Ich bin einfach nicht achtsam genug. Es ist ja auch so schwer, in der ganzen Unruhe und Hektik achtsam zu bleiben.

 

Die entscheidende Weiche zur Rechten Achtsamkeit

Vielleicht hat das Vergehen des Wohlbefindens gar nichts mit deiner unzureichenden Achtsamkeit zu tun?

Was du beobachtest zeigt, dass du achtsam genug bist. Du entdeckst gerade etwas ganz Wesentliches:

Alles, was durch bestimmte Bedingungen entstanden ist, vergeht auch wieder. Du entdeckst eines der Grundgesetze.

Es ist nicht dein Versagen, dass du das Wohlbefinden nicht festhalten kannst. Es geht einfach nicht.

 

Achtsamkeit auf die Vergänglichkeit

Das Wohlbefinden geht vorüber, Unwohlsein auch, wenn wir es einfach sich selbst überlassen und nicht mit allen möglichen Gedanken und Fantasien füttern.

Achte einmal darauf, wie alles entsteht und wieder vergeht. Und lass es einfach geschehen. Lass geschehen, dass du dich gut fühlst und dass es es vorüber geht. Lass geschehen, dass es dir schlecht geht. Auch das wird vorübergehen. Tue, was dir möglich ist um es zu bessern, und dann lass es einfach stehen. Auch das wird vorübergehen.

Und wenn du dich so ohne Bedauern vom Genuss wieder lösen kannst, genießt du unverstrickt.

 

Rechte Achtsamkeit führt zur tiefen Ruhe

Jetzt bist du bei der Rechten Achtsamkeit angekommen: Du beobachtest das, was ist, ohne dich daran zu klammern oder es dir anders zu wünschen und wegzuschieben. Du beobachtest die Vergänglichkeit aller wahrnehmbaren Phänomene.

Hier findest du kein High. Hier kommst du immer tiefer zur Ruhe. In dieser Ruhe brauchst du dir nicht zu wünschen, deine Situation soll jetzt besser sein. In dieser Ruhe ist alles genau so, wie es sein soll.

 

Übersetzung der Lehrrede aus dem Pali: Fritz Schäfer in „Der Buddha sprach nicht nur für Mönche und Nonnen“

Bild: Lizenz nnoeki, CC0 Public Domain pixabay

 

Welche Erfahrungen hast du mit Achtsamkeit gemacht. Teile uns deine Gedanken in den Kommentaren mit.

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4 Gedanken zu „Sei achtsam, du wirst dein Leben mehr genießen – ist das der buddhistische Weg?

  1. Hallo Christiane!

    Vielen Dank für diesen Text. Mal wieder super gut zu lesen und anschaulich beschrieben. Ich glaube ich habe verstanden, was du mir mitteilen möchtest.

    Ja, ich kann das auch beobachten. Gefühle kommen und gehen. Gute Gefühle und weniger gute Gefühle. Nein, ich bin nicht die ganze Zeit glücklich, nur weil ich versuche achtsam zu sein. Gerade wenn man achtsam ist, nimmt man ja auch all die negativen Gefühle war, die man ja auch irgendwie immer hat. Aber sie gehen ja auch wieder. Und das ist wirklich ein gutes Gefühl – das alles was ist auch wieder vergeht – finde ich sehr beruhigend :)

  2. Liebe Steffi,
    genau so ist es, alles kommt und geht. Ist das nicht ein schönes Gefühl, das einfach willkommen zu heißen?
    Herzliche Grüße,
    Christiane

  3. Hallo Christiane,

    ich danke Dir für diesen Beitrag! Ich beschäftige mich gerade mit den 5 Indriya (Fähigkeiten/Grundkräften/Heilsinnen) und Dein Text ist für mich diesbzgl. sehr bereichernd. Achtsamkeit ohne Weisheit hat, so wie Du schreibst, das Potential zu einer Wellness Achtsamkeit zu „verkommen“.

    Liebe Grüße

  4. Hallo Flex,
    danke, dass du deine Gedanken mit uns teilst :-). Super, dass du dich mit den 5 Heilssinnen beschäftigst! Sie sind ja so wichtig, um auf dem Weg voranzukommen. Das Problem mit der Wellness-Achtsamkeit ist für mich das Ziel. Ihr Ziel ist es, mehr zu genießen – was einen aber in dem Kreislauf von Habenwollen und Nicht-Habenwollen festhält. Das Ziel des buddhistischen Weges ist das zur Ruhe kommen, nicht mehr angezogen und abgestoßen zu werden.

    Herzliche Grüße,
    Christiane

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