Dukkha - Krankheit ist Dukkha

Abgetaucht in Dukkha

In den letzten vier Wochen habe ich nichts von mir hören lassen. Ich war abgetaucht. Abgetaucht in Dukkha.

Es war wirklich nicht lustig, wie ich mich in Hinneigung und Abneigung verstrickt habe. Die Wahn-Wolkendecke wurde ganz dicht.

Alle Heilmittel aus der buddhistischen Apotheke halfen nichts. Ich konnte sie nicht konsequent anwenden.

Ich war dann einfach mal untergegangen. Und so habe ich viel Zeit zu der Betrachtung gehabt:

 

 „Mit Unliebem vereint sein ist Dukkha“ 

 

 

Dukkha

Das Original-Wort Dukkha (Pali) benutze ich, weil die Bandbreite der Bedeutung im Deutschen einfach nicht in ein Wort zu fassen ist.

Dukkha heißt wörtlich übersetzt „schwer zu ertragen“. Die Bandbreite von reicht von leichter Unzufriedenheit bis hin zu schwerem Leiden.

Hier erklärt der Buddha, was Dukkha ist.

 

Ein Anruf setzte alles in Gang

Es fing mit einem abendlichen Anruf auf meinem Handy an:

„Schatz, ich bin grad auf der Treppe gefallen. Ich bin sicher, dass mein Knöchel gebrochen ist. Habe 112 angerufen“.

Meine Partnerin hatte es erwischt. Sie hatte sich den Knöchel gründlich gebrochen und wurde im Krankenhaus auf Helgoland erstversorgt und dann nach Wilhelmshaven ausgeflogen.

Da ich nur meine eigenen inneren Vorgänge wirklich betrachten kann, werde ich nur auf meine eigenen Gedanken und Gefühle eingehen. Aber natürlich hatte meine Partnerin eine Menge auszustehen. Auch „Krankheit ist Dukkha“.

 

„Nicht vereint sein mit dem, was man liebt, ist Dukkha“

Eigentlich wollte ich von Hamburg direkt nach Wilhelmshaven fahren, damit meine Partnerin in dieser Situation nicht allein war. Nur – wohin?

Ich konnte sie einfach nicht finden.  So viele Krankenhäuser in Wilhelmshaven! Die Leitstelle gab mir zur Auskunft, dass sie mir nicht sagen dürfte, wohin der Flug gegangen war.

Ich wurde immer unruhiger und ärgerlicher.

Dem Mitarbeiter der Leitstelle fiel schließlich eine Lösung ein. Er stellte mir Fragen wie bei „Wer wird Millionär“, bis ich die richtige Antwort hatte. Und er war gleichzeitig noch mein Telefonjoker, den ich mehrfach einsetzen konnte. DANKE an den unbekannten Mitarbeiter der Leitstelle Wilhelmshaven!

 

Warten

Meine Partnerin war nicht in Wilhelmshaven, sondern in Sande. Der Knöchel war zu geschwollen und konnte erstmal nicht operiert werden. Stattdessen wurde ein externer Fixateur angebracht, damit die Bruchstücke einigermaßen stabil waren und dann hieß es – warten. Warten darauf, dass der Fuß abschwoll.

Er schwoll aber nicht richtig ab. Im Gegenteil, er entzündete sich auch noch. Das schien eine langwierige Geschichte zu werden. Und Sande, so interessant die Ortsgeschichte ist, kam mir immer trostloser vor.

 

Meine Geduld geht zu Ende

Ich beobachtete das freundliche Pflegepersonal bei der Arbeit. Dabei sank mein Vertrauen in die Krankenhaushygiene ziemlich dramatisch. Einmal stoppte ich sogar eine Schwester energisch und ziemlich unfreundlich (Autsch! das will ich eigentlich nicht!). Sie drückte mit unsterilen Handschuhen zu dicht an der Wunde herum, und es bestand ja bereits eine Entzündung.

Die Arme war völlig irritiert. Sie wusste es nicht besser. Ich entschuldigte mich später für die Form meiner Intervention, allerdings ausdrücklich nicht für den Inhalt. Und da sie wirklich nicht wusste, was sie falsch gemacht hatte, erklärte ich dem Chefarzt bei einer Visite, dass sein Personal Schulung brauche.

 

Ich füttere ein Gespenst

Meine Gedanken kreisten ununterbrochen. Ich konnte nachts nicht schlafen und schlich tagsüber wie ein Schlafwandler herum – es war einfach schrecklich.

Das Gespenst Klinikkeime war in mein Gehirn gekrochen. Und ich fütterte es. Ich malte mir aus, was eine Infektion mit Klinikkeimen auslösen konnte und landete schließlich bei einer Blutvergiftung und dem Tod meiner Partnerin. Nein! Das wollte ich auf gar keinen Fall!

 

„Anhaften ist Dukkha“

Wie wohl die meisten Menschen hänge auch ich an meiner Partnerin und möchte sie nicht verlieren. Genau das ist aber unmöglich.

Irgendwann werde ich sie auf irgendeine Weise verlieren – Dukkha ist damit vorprogrammiert.

Nein, ich sage nicht, dass es schlecht ist, einen Menschen zu lieben und an ihm zu hängen.

Aber darauf wird Leiden folgen wie bei einer Schlage dem Schlangenkopf der Schwanz der Schlange folgt.

Und ich war darin einfach mal untergegangen.

 

Befreiung aus Dukkha

Warum konnte ich mich nicht daraus befreien? Ich war emotional viel zu verstrickt, um eine kühle Analyse machen zu können wie in dieser Situation.

Erst als meine Partnerin mit dem ADAC in ein bekanntes Unfallkrankenhaus in Hamburg gebracht worden worden, in dem die Ärzte ganz sicher auch mit einem infizierten Bruch gut umgehen konnten, beruhigte ich mich etwas. Dadurch konnte ich aus dem Strudel meiner Gedanken und Gefühle wieder auftauchen und Luft holen.

Ich war emotional immer noch sehr beteiligt. Deshalb entschied ich mich für die Arznei aus der buddhistischen Apothek, die bei mir in solchen Fällen am besten hilft. Sie ist bitter, aber sie hilft gut.

 

Arzneimittel: Achtsamkeit auf die Gefühle

Ich ließ mich zu Hause zur Ruhe kommen und folgte dafür einfach meinem Ein- und Ausatmen für eine Zeit, bis ich merkte, dass ich mich zentriert hatte.

Dann fragte ich mich: Was fühle ich eigentlich gerade? Und erlaubte mir, es auch zu fühlen.

Gefühle bestehen aus Körperempfindungen und Gedanken.

Mein Herz fühlte sich an wie von einer eisernen Hand umklammert und zusammengedrückt, als ob es von dieser eisernen Hand erwürgt würde. Ich fühlte Panik und tiefen Schmerz.

Ich gab den Empfindungen Raum, ohne sie zu verstärken oder abzuschwächen.

Allmählich ebbten die heftigen Empfindungen ab. Sie tauchten über die nächsten Tage immer wieder auf. Jedesmal erlaubte ich ihnen, einfach zu sein. Nach etwa einer Woche kamen sie nicht mehr wieder.

Und hey – ich habe keine Lust mehr auf solches Leiden. Also – weitermachen auf dem buddhistischen Weg!

 

Wie gehst du mit solchen Erfahrungen um? Welche Mittel aus der buddhistischen Apotheke wirken bei dir besonders gut? Ich freue mich, in den Kommentaren von dir zu hören.

6 Gedanken zu „Abgetaucht in Dukkha

  1. Liebe Christiane

    Es ist einfach wunderbar, wie Du die Lehre des erhabenen Buddha in Dein Alltagsleben integrierst.

    Vielleicht täusche ich mich, aber zwischen den Zeilen kann man herauslesen, dass Du manchmal „frustriert“ bist, weil Dir etwas nicht perfekt gelingt. Ist dem so?

    Und dann habe ich noch eine Frage. Du schreibst:
    „Gefühle bestehen aus Körperempfindungen und Gedanken“
    Woher hast Du diese These?

    Freundliche Grüsse!

  2. Ehrwürdiger Chantasaro,

    ganz lieben Dank für die ermutigenden Worte!

    Ja, es stimmt, dass ich manchmal frustriert bin. Weniger darüber, dass ich ab und zu in Dukkha total untergehe. Ich denke, solange ich noch schwimme, werden mich die Wellen eben manchmal überspülen.

    Was mich aber richtig ärgert ist, wenn ich wie bei der Krankenschwester so energisch und für sie vermutlich barsch reagiere, wobei meine Emotionen ganz schön hochkochen. Ehrlich gesagt ist mir bisher noch nicht mal eine bessere Lösung eingefallen, denn ich musste sie einfach stoppen. Eigentlich möchte ich schon jeden respektvoll behandeln und über solche Situationen bin ich dann wirklich frustriert.

    „Gefühle bestehen aus Körperempfindungen und Gedanken“
    Du fragst, woher ich diese These habe. Ich muss gestehen, dass sie schon so lange Teil meiner „Basisannahmen“ ist, dass ich es nicht mehr ganz genau weiß. Anfang der 8oer Jahre habe ich sie darin aufgenommen. Ich kann mich erinnern, diese Erklärung in dieser Zeit in einem Vipassana-Retreat gehört zu haben, sie gehörte allerdings auch zum Mainstream-Denken der humanistischen Psychologie. Damals fand ich sie sehr hilfreich, denn ich hatte in der Zen-Meditation mit dem starken Fokus auf dem Atem Gefühle einfach ausgeblendet und fand es sehr schwer, meine Aufmerksamkeit darauf zu richten. Meiner Erfahrung nach stimmt es wirklich. Gefühle lösen bei mir als erstes ein Körpergefühl aus, so werde ich überhaupt auf sie aufmerksam.

    Gendlin hat daraus eine eigene Psychotherapieform entwickelt, „Focusing“, in der man ganz gezielt mit den Körperwahrnehmungen und den Gedanken arbeitet.

    Herzliche Grüße,
    Christiane

  3. Werte Christiane

    Betreffend Frust:
    Das was den Citta heilt ist nicht das Citta. Es ist die Wahrheit, die heilt. Wenn Du mit Achtsamkeit feststellst, dass Du wütend wirst, dann ist diese Feststellung ein wichtiger Bestandteil der Heilung. Da muss man nix weiter machen als achtsam bleiben. Es gibt viele Dinge, die entziehen sich unserer direkten Einflussnahme. Ajahn Chah hat es mit einer Pflanze verglichen. Wenn wir ein Samenkorn in die Erde stecken, dann haben wir auch keine direkte Einflussnahme auf das Gedeihen. Wir können die Erde lockern, düngen, Wasser geben, darauf achten, dass weder zu viel, noch zu wenig Sonne auf das Pflänzchen scheint und die Schnecken fernhalten. Aber, und jetzt kommts, das Wachstum können wir nicht regeln. So fest wir auch an den ersten Blättchen des Pflänzchen ziehen, es wächst nicht schneller oder besser :)) .

    Dieses indirekte Einwirken nenne ich ‚Vanish Oxi Action Prinzip‘. Wir geben ein wenig Vanish auf die BeFLECKung und warten bei einer heissen Tasse Tee darauf, dass das Waschmittel seine Arbeit tut.

    Was Du tun kannst ist, fortan wenn Du in so einer Situation „die Fassung“ verlierst, genau hinzuschauen, was dazu geführt hat. Es war ja nicht die Krankenschwester, die das ausgelöst hat, die Ursache liegt bei Dir.

    Zu Gefühle bestehen aus Körperempfindungen und Gedanken:
    Es ist möglich, dass wir unter Deiner Aussage nicht das Selbe verstehen. Willst Du aussagen, dass es körperliche Gefühle und geistige Gefühle gibt? Oder meinst Du, dass Gefühl eine Zusammenmischung von Körperempfindung und Gedanke ist? Ich bin grad ein wenig verwirrt, denn Du schreibst: „Gefühle lösen bei mir als erstes ein Körpergefühl aus, so werde ich überhaupt auf sie aufmerksam.“ Ich wäre dankbar, wenn Du das ein wenig ausführlicher darlegen könntest.

    Betreffend Psychologie:
    Psychologie war ein Bestandteil meines Studiums und ich bin dankbar, konnte ich in dieses Thema einen erweiterten Blick werfen. Nur leider greifen die Thesen der Psychologen zu kurz, oder anders gesagt, sie sind oberflächlich. Im Verlaufe meiner buddhistischen Praxis hat sich so manches relativiert, was ich vorher als ‚gegeben‘ angeschaut habe. Aber es freut mich, dass die moderne Psychologie auf altbewährte Mittel des erhabenen Buddhas zurückgreift, Focussing ist ja nur ein Teil davon.

  4. Ehrwürdiger Chantasaro,
    deine Antwort hat mich schmunzeln lassen. Vanish Oxy für Citta – großartig! Zumal ich ja Vanish Oxy regelmäßig für die Kleidung benutze.

    Körpergefühle/Körperempfindungen: Ich war ein bisschen zu großzügig mit dem Wort „Gefühle“, denke ich. Körperempfindungen sind etwas anderes. Man findet sie oft in Sprichwörtern, z.B.:
    – Das liegt mir auf der Seele
    – Ich habe einen Knoten im Bauch
    – Mein Herz ist schwer
    – Das war ein Schlag in die Magengrube
    – mein Herz springt mir aus dem Leib

    Es sind physische Empfindungen wie Kribbeln, Schweregefühl, Taubheit, Druck, Ziehen, Schmerz …, die ein Körperempfinden ausmachen.
    Über diese Körperempfindung, die das Gefühl erst einmal noch nicht benennt, sondern eigentlich wortlos ist, kann das dazugehörige Gefühl gefunden werden, wenn man seine Achtsamkeit auf das Körperempfinden richtet. Das Gefühl taucht dann mit einer klaren Qualität auf wie Unruhe, Stress, Angst, Ärger usw.
    Interessanterweise haben Missbrauchsopfer oft Körperempfindungen, die zu einer entsprechenden Situation gehören, ohne diese Körperempfindungen einordnen zu können.
    Es gibt Traumatherapien, die mit der Fokussierung auf diese Körperempfindung arbeiten und gleichzeitiger bilaterer neurophysiol. Stimulation, um das Trauma zu verarbeiten.

    Habe ich mich verständlich ausgedrückt?

    Herzliche Grüße,
    Christiane

  5. Werte Christiane

    Ja, jetzt weiss ich, von was Du sprichst.

    Wir arbeiten hier ’nur‘ mit den fünf Daseinsgruppen und eins davon sind die Gefühle. Für uns ist eine Empfindung eben zusammengemischt und damit bereits eine Illusion, weg von dem, was wirklich ist. Von Gefühlen haben deren drei (Wohl-, Weh-, Wederwohlnochwehgefühl),sowohl körperlicher, als auch geistiger Art.

    Im Bereich der Psychologie hatte ich früher eine riesige Konfusion, weil zwischen buddhistischer und wissenschaftlicher Psychologie einige Gemeinsamkeiten bestehen, sie aber auf einer ganz anderen Ausgangslage beruhen. Die wissenschaftliche Psychologie beginnt frühestens bei der pränatalen Phase und beschäftigt sich mit dem Selbst (Attā), während die buddhistische Psychologie um die Wiedergeburt im Zusammenhang mit Kamma-Vipakā weiss und mit dem Nicht-Selbst (Anattā) arbeitet. Mir waren früher nur die Gemeinsamkeiten bewusst, die Unterschiede habe ich ausser Acht gelassen. Daraus entstand nicht nur meine Konfusion, sondern auch falsche Herangehensweisen. Das hat mich dann dazu geführt, die wissenschaftliche Psychologie ganz aussen vor zu lassen.

    Mit Mettā
    Bhikkhu Chantasaro

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