Heute möchte ich dir schildern, wie ich in meinem ganz gewöhnlichen Alltag die buddhistische Lehre praktiziere.
Das überfüllte Wartezimmer eines Arztes gab mir die unangenehme Gelegenheit, mal wieder meine starke Abneigung gegen solche Situationen auszukosten. Mich rettete die Zuflucht zur Lehre, in diesem Fall die Betrachtung der fünf Zusammenhäufungen.
Und so flog ich fast aus der Kurve
Kurz vor meiner Abreise für zwei Monate musste ich noch das Ergebnis einer kurzfristig anberaumten CT-Untersuchung mit dem Arzt besprechen. Als ich den Termin dafür ausmachen wollte, war kein einziger mehr frei und ich musste mich mit „Kommen Sie so früh wie möglich und bringen Sie Wartezeit mit“ zufrieden geben.
Der Montagmorgen war der einzig Morgen, der noch in Frage kam, und natürlich die schlechteste aller Möglichkeiten. Die Praxen sind in der Regel voll von Leuten, die eine Krankschreibung brauchen oder über das Wochenende akut erkrankt sind. Ich quälte mich also frühmorgens in die Praxis – früh aufzustehen gehört nicht zu meinen üblichen Verhaltensweisen. Als ich in die Praxis kam, waren schon etwa 15 Patienten da. Einige husteten und schnieften eindrucksvoll. Na, das sah ja heiter aus. Ich würde nicht nur warten müssen, sondern wahrscheinlich auch noch einigen Viren eine neue Heimat bieten. Die Arzthelferin sagte mir freundlich, dass ich leider mit 2 Stunden Wartezeit rechnen müsste.
Nun, ich bin nicht gerade für meine Geduld bekannt und jetzt kam noch hinzu, dass ich vor der Abreise noch einiges zu erledigen hatte. Ich merkte, wie in mir der Ärger hochstieg wie ein Geysir und ich am liebsten ziemlich gereizt geantwortet hätte (Nicht-Habenwollen, kurz Hass). Zum Glück war ich noch recht müde, sonst wäre meine Reaktion noch heftiger gewesen. Durch den Vorhang meines Ärgers nahm ich noch schwach wahr, dass die freundliche Arzthelferin hilflos wirkte und wahrlich auch nichts für die Situation konnte.
Ich konnte mich gerade noch bremsen, bevor ich einen Eimer Jauche über sie schüttete (Halt Stopp, Rechte Rede!). Kurz überlegte ich, die Praxis einfach wieder zu verlassen und meinen Befund in zwei Monaten zu besprechen. Ich ging zwar davon aus, dass es nichts Ernstes war, aber natürlich konnte ich mir nicht sicher sein und was, wenn ich doch etwas unternehmen müsste? Die Handlungsmöglichkeiten schossen mir durch den Kopf, als einzig richtige Wahl erschien mir aber schließlich doch, zu warten und den Befund zu besprechen.
Ich setzte mich möglichst weit entfernt von den Erkältungsopfern hin und beschloss, erst einmal etwas abzukühlen.
Zuflucht zur Lehre
Durch diese kleine Begebenheit war ich ziemlich aufgewühlt. Ich mag es nicht, in so einem negativen Zustand zu sein. Wie wahr, Nicht-habenwollen, Hass ist Leiden. Nicht nur mein Gegenüber kann darunter leiden, auch mir selbst geht es gar nicht gut. Als sich mein innerer Aufruhr soweit gelegt hatte, dass ich einigermaßen klar denken konnte, analysierte ich das Ganze noch einmal. Zeit hatte ich ja genug. Wie war es gekommen, dass ich innerhalb eines Augenblickes so komplett meine Fassung verloren hatte?
Die fünf Zusammenhäufungen
Weil ich mich gerade intensiv mit den 5 Zusammenhäufungen beschäftige, griff ich zu diesem Heilmittel. Ich ging die Situation noch einmal durch: Durch das Telefonat war ich eigentlich vorgewarnt gewesen. Warum hatte ich innerlich so heftig reagiert?
1. Haufen: Form
Gesehen hatte ich das sehr volle Wartezimmer, die stark erkälteten Leute, die trotz der angespannten Terminlage noch freundlichen Arzthelferinnen. Gehört hatte ich: zwei Stunden Wartezeit. Gefühlt hatte ich meine Müdigkeit, die mich leicht ungehalten werden lässt und in diesem Fall als Brandbeschleuniger fungiert hatte. Und ich wollte auf keinen Fall vor der Reise auch noch krank werden.
2. Haufen: Gefühl
Die Ablehnung dieser Situation war heftig, so heftig wie alle meine gegenteiligen Wünsche zusammen genommen. Die Geburt von „Ich“ zusammen mit „ich will das nicht“ hatte stattgefunden. „Meine“ Zeit wurde mir weggenommen. Das Gefühl überspülte mich wie eine Riesenwelle und riss mich fast hinweg.
3. Haufen: Wahrnehmung
Ich hatte die Situation samt ihren Gefühlen wahrgenommen, sicherlich ziemlich verzerrt.
4. Haufen Prozesses
Diese Wahrnehmung setzte alle möglichen Prozesse in Gang.
5. Haufen Bewusstsein
Das Bewusstsein, mein Betriebsprogramm, suchte auf seiner Festplatte nach Lösungsmöglichkeiten, um das Unangenehme zu beseitigen.
Die erste Lösungsmöglichkeit: einfach Dampf ablassen. Zum Glück hatte ich mir bereits oft genug überlegt, dass jemanden anzuschnauzen nicht freundlich ist und mich auf meinem buddhistischen Weg ganz sicher zurückwirft.
„Was man häufig denkt und besinnt, dahin neigt sich das Herz“.
(M 19, Dvedhavittaka-Sutta)
Sich selbst oder andere in Bedrängnis zu bringen ist unheilsames Verhalten, das keine guten Folgen haben kann. Das hatte ich mir oft genug vor Augen geführt und deshalb waren die Kräfte inzwischen stark genug geworden, die mich bei einem Temperamentsausbruch zurückhalten konnten – wenn auch nur knapp, aber immerhin. So konnte ich eine heftige Reaktion nach außen vermeiden, die Situation eskalierte wenigstens nicht und ich hatte der Arzthelferin nicht vollends den Wochenanfang verdorben.
Die nächste Möglichkeit, die vom Bewusstsein eingespielt wurde: Geh einfach nach Hause. Dann folgten die nächsten Überlegungen, die schließlich damit geendet hatten, dass ich nun hier saß.
Das bin ich nicht, das gehört nicht mir, das ist nicht mein Selbst
Was mir dann wirklich Erleichterung brachte war die Erinnerung, dass all diese Abläufe vorübergehen. Mein Ärger wird von allein wieder abklingen, wenn ich es zulasse und ihn nicht immer weiter aufbausche und füttere. Die Situation wird vorübergehen, auch wenn es länger dauert.
Das alles bin ich nicht, es gehört mir nicht, es hat keinen bleibenden Kern; die Situation, die Reaktionen, mein Gefühl von „Ich“ bin verärgert, „meine“ Zeit wird mir gestohlen. Es sind einfach die Abläufe der 5 Zusammenhäufungen, aus denen das Leben besteht, kein Grund, sich darin zu verwickeln. Die Prozesse laufen ab, sie verursachen das Ich-Gefühl mit „meinem“ Ärger.
Ich bin deshalb kein „schlimmer Mensch“, so funktioniere ich einfach. Geduldige Meditationen wie diese haben „mich“ schon verändert und werden es weiterhin tun – bis das Ziel erreicht ist.
Diese Betrachtungen ließen mich regelrecht aufatmen. Ich spürte, wie ich mich entspannte und allmählich wieder in der Gegenwart ankam.
Der Ärger kam ab und zu noch einmal kurz hoch, zum Beispiel als ich mitbekam, dass auch noch Patienten zur OP-Vorbereitung einbestellt waren. Was für eine Organisation, so etwas am Montagmorgen zu tun?! Ich hatte schon einige Praxisabläufe während meiner Berufstätigkeit organisiert. Aber dann ließ ich von diesen Gedanken wieder ab. Der Arzt würde mich sicher nicht fragen, ob ich ihm seine Praxis organisieren würde und ich würde es ihm nicht anbieten. Also ging es mich nichts mehr an. Das Einzige, was mich anging, war der Umgang mit meinen Gedanken und Gefühlen.
Als ich nach über zwei Stunden die Praxis verließ, fühlte ich mich geradezu siegreich. Ich hatte mit Hilfe der Lehre einen ziemlich unheilsamen Geisteszustand beendet und das Aufflackern wieder eingedämmt. Und die Betrachtungen hatten ganz sicher dazu beigetragen, auf meinem Weg voranzukommen.
Bild: ginasanders / 123RF Stockfoto
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Liebe Christiane,ich kann Deinen hochkommenden Ärger so gut verstehen. Ich empfinde da ganz ähnlich: schnell kocht Wut hoch wie eine Stichflamme und ich bin dann erstmal damit beschäftigt die zu analysieren und zu verstehen, damit ich einen Weg aus der Wut finde. Denn ich will ja auch niemanden verletzen indem jemand meine Wut abbekommt, der für die Situation auch nichts kann.
Mir hilft es auch zu erkennen, daß die Situation nur vorrübergehend ist und ich sie ganz schnell abhaken kann. Und offensichtlich schaffen andere Menschen ja auch es zu ertragen, warum ich dann nicht?
Und manchmal fasse ich sie auch in Worte und spreche sie aus, aber ohne zu unhöflich zu sein. Eine Möglichkeit in dem Fall wäre zu fragen, ob man, weil es so lange dauert, vielleicht in 2 Stunden wiederkommen könne. Bei manchen Ärzten ist das okay, man bleibt in der Warteschlange und muß sie nicht dort verbringen.
Noch eine Möglichkeit ist: ich rechne bei Arztbesuchen damit und nehme immer meinen e-reader mit und kann so die Zeit nutzen in einem spannenden Buch viele Kapitel zu lesen.
Manche Ärzte haben auch viele Zeitschriften. Finde ich gut, wenn ich die mal kostenlos lesen kann. Manchmal nervt es dann schon aufgerufen zu werden,w enn der Artikel gerade so spannend ist. Aber Du warst in Deiner Situation unter Zeitdruck. Das bin ich meistens nicht. Und wenn, sage ich mir immer: egal wie groß der Zeitdruck ist: er wird das Vorankommen nicht beschleunigen. Er wird mich nur verrückt machen und aufreiben. Also kann ich ihn vergessen, bis ich aus der Praxis bin.
Das sind so meine Strategien.
Liebe Christiane,
Du hast eine super Strategie für die Wartezimmer-Situation! Übrigens habe ich dich immer gedacht, dass du besonders geduldig bist.
Liebe Grüße,
Christiane